Professioneller Umgang
mit herausforderndem Verhalten

Lehrkräfte sind in einem vielfältigen Berufsfeld gefordert. Unterrichten, Vor- und Nachbereitungen, Korrekturen und Beratungen, Gespräche und Aushandlungen von Möglichkeiten mit Schülern, mit Eltern, mit Kolleginnen und Kollegen. Ein Aufgabenfeld, das immer umfassender wird, ist der professionelle Umgang mit herausforderndem Verhalten.

Die unterschiedlichen Möglichkeiten des Zugangs sind in sich ergänzender Funktion zu verstehen. Nicht ein Ansatz ist „der richtige“, sondern sie stehen gleichberechtigt nebeneinander und ermöglichen durch verschiedene theoretische Modelle verschiedene Perspektiven bezüglich der gezeigten Verhaltensweisen. Basierend auf den Ausarbeitungen von Matthias Ahrens und Eckehardt Plagmann, Landesfachberater für schulische Erziehungshilfe am Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein, sollen die unterschiedlichen Modelle (Systemik, Individualpsychologie und Behaviorismus) in den nächsten Ausgaben kurz vorgestellt werden. Die Redaktion bedankt sich beim Autor und dem VBE SH für die Freigabe des Nachdruckes.


Der Systemische Ansatz

Eine mögliche Zugangsweise kann der Systemische Ansatz bieten.
In diesem Modell wird das als störend empfundene Verhalten als individuell sinnvoll, folgerichtig, zielorientiert und nützlich verstanden und muss in das ihn umgebende System (Freundeskreis, Elternhaus, Schule etc.) eingebettet werden. Die Vorstellung eines „gestörten“ Verhaltens ist in diesem Zusammenhang nicht angemessen und hilfreich.

Die sozialen Beziehungen des Kindes oder des Jugendlichen beeinflussen sein Verhalten maßgeblich. Die Änderung von Verhaltensweisen bzw. der Aufbau von anderem gewünschten Verhalten wird in dem Modell über Ansatzpunkte außerhalb des Kindes angestrebt. Die Ansatzpunkte sind in dem das Kind umgebenden System zu finden. Die Systemtheorie geht davon aus, dass jede Änderung, die in das System hineingegeben wird, Auswirkungen auf das Gesamtsystem hat.

Beispiel:

Der Fokus liegt nur auf dem Ziel des Verhaltens und nicht auf der möglichen Ursache. Eine Kernfrage ist: Welches Ziel verfolgt die Person mit ihrem Verhalten. Was würde sie verlieren, auf was müsste sie verzichten, wenn sie sich sofort angepasst verhalten würde?

Die Einbeziehung des Gesamtsystems, also der Eltern, der Schule, des Sportvereins, des Freundeskreises usw. bietet so diverse Ansatzpunkte und kann alle Beteiligten mit in die Verantwortung nehmen.

Systemische Techniken, um auf Änderungen des Verhaltens hinzuwirken, sind zum Beispiel das Lokalisieren von Ausnahmen, das „Verflüssigen“ von Eigenschaften, das Umdeuten des als störend empfundenen Verhaltens und die klare und positive Beschreibung eines Zielverhaltens (Wie wäre es, wenn es gut wäre?) und das Stürmen durch die Hintertür. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang die Verwendung von Skalierungen.
Hier die Techniken, beispielhaft vorgestellt:


Funktion der Skalierungsfragen:

Bei Skalierungen wird eine Situation („Wie schätzen Sie das Verhalten bei der Erledigung der Hausaufgaben ein?“) auf einer Skala von 1–10 bewertet, wobei 1 die schlechteste und 10 die beste Bewertung darstellt.

Mithilfe von Skalierungen können nun zum einen Zielvorstellungen entwickelt (Wie müsste es sein, damit es bei 10 ist?) als auch Teilschritte visualisiert werden (Wenn es jetzt bei 3 ist, woran ist erkennbar, dass es sich zur 4 entwickelt hat?).
Bei der Lokalisation von Ausnahmen sind Skalierungen hilfreich, um selbst kleinste Veränderungen und Entwicklungen wahrnehmen und sich vor Augen führen zu können.

Umdeuten des Verhaltens:

Über die Umdeutung des Verhaltens ist es möglich, den Zweck zu erkennen und die handlungsleitenden Motive zu ergründen. Nicht mehr das störende Verhalten an sich, sondern die für das Kind daraus resultierenden Vorteile geraten so in den Vordergrund der Beobachtung. Mögliche Fragestellungen wären:

  • Welchen Gewinn hat das Kind durch das gezeigte Verhalten?
  • Wieso ist es individuell sinnvoll?
  • Was würde es verlieren, wenn es sich nicht mehr so verhalten würde?
  • Welchem Zweck dient das Verhalten?
  • Was ermöglicht das Verhalten dem Kind?


Lokalisieren von Ausnahmen:

Das Lokalisieren von Ausnahmen ist eine Vorgehensweise, die dabei helfen kann, Ressourcen im Gesamtsystem zu finden. Grundlegende Fragestellungen sind hier:

  • In welchen Bereichen (Freunde, Sportverein etc.) tritt das Verhalten nicht auf?
  • In welchen Bereichen tritt das Verhalten seltener oder weniger stark auf?
  • Was ist an den Situationen, in denen das Verhalten nicht gezeigt wird, anders?
  • Welche Personen sind beteiligt?
  • Wie sind die „Anforderungen“ in der Situation?
  • Welchen Unterschied macht die Tageszeit aus (1 Std. vs. 5. Std.)?
  • Welchen Einfluss haben unterschiedliche Wochentage?


Verflüssigen von Eigenschaften:

Häufig werden Kindern und Jugendlichen feste Eigenschaftsmerkmale zugeschrieben (es ist ein aggressives Kind), und diese Merkmale werden dann aufgrund der Fokussierung auf sie häufiger wahrgenommen. Andere Eigenschaften (Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit, Humor) fallen dann häufig aus dem Blickfeld.

Hilfreiche Fragestellungen können hier sein:

  • Wann ist das Kind hilfsbereit/freundlich o. Ä. (zeigt ein dem störenden Verhalten gegensätzliches Verhalten)?
  • Wann sind die als störend empfundenen Eigenschaften weniger intensiv oder seltener wahrzunehmen?
  • Mit wem sind die als störend empfundenen Eigenschaften weniger intensiv oder seltener wahrzunehmen?
  • In welchen Bereichen sind positive, dem störenden Verhalten gegensätzliche Eigenschaften wahrzunehmen?


Klare und nachvollziehbare Zieldefinitionen:

Für den Aufbau von erwünschtem Verhalten ist es für alle Beteiligten von Bedeutung, sich ein inneres Bild des zu erreichenden Verhaltens zu machen. Eine mögliche Fragestellung hier ist:

  • Welches Verhalten soll das Kind / der Jugendliche anstatt des bisherigen als störend empfundenen Verhaltens zeigen?
  • In welchen Bereichen soll/kann das Zielverhalten vermutlich zuerst erreicht werden?
  • Wie könnten Teilschritte aussehen?
  • Ab wann hat es sich verbessert? (Hier bieten sich wieder Skalierungen an.)


Weitere Hinweise zum Systemischen Ansatz sind der Homepage zu entnehmen. Als hilfreich erweist sich die ebenfalls herunterzuladende Fragensammlung des KSFE (Kronshagener Systemischer Fragebogen Erziehungshilfe).

In der nächsten Ausgabe folgt das Modell der Individualpsychologie.

Zusammengestellt von
Christian Schmarbeck,
VBE-Referat Junge Lehrkräfte

Quelle: www.erziehungshilfe-sh.de

© Verband Bildung und Erziehung | Landesverband Niedersachsen | Raffaelstraße 4 | 30177 Hannover

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